Elektronisch erbrachte Dienstleistungen

Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 9. Oktober 2025 (C-101/24) mit elektronisch erbrachten Dienstleistungen über einen Appstore beschäftigt. Dabei ging es um Auslegungsfragen zu Art. 28 (Dienstleistungskommission) und 203 (wer Umsatzsteuer ausweist, schuldet sie) MwStSystRL.

Sachverhalt

Die in Deutschland ansässige XYRALITY GmbH entwickelt Spiele-Apps für mobile Endgeräte, die über einen Appstore vertrieben werden, der bis Ende 2014 von dem in Irland ansässigen Unternehmen X betrieben wurde. Endkunden konnten die Apps kostenlos herunterladen und innerhalb des Spiels sogenannte In-App-Käufe tätigen, um Verbesserungen oder andere Vorteile zu erwerben. Diese Käufe wurden direkt über den Appstore abgewickelt, wobei die Bezahlung über die dort hinterlegte Zahlungsmethode der Nutzer erfolgte. In den drei Pop-up-Fenstern, die den Kauf begleiteten, war ausschließlich das Logo von X zu sehen, während Xyrality nicht als Leistende genannt wurde. X informierte Xyrality monatlich über die getätigten In-App-Käufe und berechnete für jeden Kauf eine Provision von 30%.

Zunächst sah Xyrality sich als Leistende der an die Endkunden erbrachten Dienstleistungen an, sodass sie für Kunden innerhalb der Union deutsche Umsatzsteuer anmeldete. Im Januar 2016 reichte sie jedoch berichtigte Umsatzsteuererklärungen ein und machte geltend, mit X einen Vertrag über eine Dienstleistungskommission i.S.v. Art. 28 MwStSystRL geschlossen zu haben. Daher habe sie selbst Dienstleistungen an X erbracht, und X sei als Leistungserbringerin gegenüber den Endkunden aufgetreten. Vor diesem Hintergrund reduzierte Xyrality die Bemessungsgrundlage ihrer in Deutschland steuerpflichtigen Ausgangsumsätze um die In-App-Käufe der Endkunden aus der Union.

Das Finanzamt vertrat hingegen die Auffassung, dass X lediglich Vermittlerin sei. Es erließ daher Umsatzsteuerbescheide, in denen die erklärten Änderungen unberücksichtigt blieben. Die Einsprüche von Xyrality blieben erfolglos.

Daraufhin erhob Xyrality Klage, der das FG Hamburg mit Urteil vom Februar 2020 stattgab. Gegen dieses Urteil legte das Finanzamt Hamburg-Altona Revision beim BFH ein.

Entscheidung

  1. Nach Art. 9a Abs. 1 MwStDV wird für Mehrwertsteuerzwecke der Leistungserbringer bestimmt, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden. Diese Vorschrift ist jedoch erst am Januar 2025 in Kraft getreten und findet daher auf den vorliegenden Rechtsstreit, der Dienstleistungen aus den Jahren 2012 bis 2014 betrifft, keine zeitliche Anwendung. Dass Art. 9a Abs. 1 MwStDV im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht galt, hat jedoch keine Auswirkung auf die Auslegung des Art. 28 MwStSystRL.
     
  2. Folglich ist Art. 28 MwStSystRL dahin auszulegen, dass seine Anwendung nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil bei elektronisch erbrachten Dienstleistungen, die vor dem Januar 2015 von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wurden, in den dem Endkunden erteilten Bestellbestätigungen der erste Steuerpflichtige als Leistender genannt wird und der in dessen Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.
     
  3. Art. 28 MwStSystRL und § 3 Abs. 11, 11a UStG regeln die Dienstleistungskommission. Danach wird fingiert, dass X eine sonstige Leistung erbringt. Diese Fiktion erstreckt sich indes nicht auf den Leistungsort. Der Leistungsort ist - trotz Fiktion - eigenständig zu bestimmen: Wird ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger gemäß Art. 28 MwStSystRL so behandelt, als habe er eine Dienstleistung selbst erhalten und erbracht, so ist der Ort der fingierten, an diesen Steuerpflichtigen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44  der Richtlinie  zu bestimmen, d.h. gemäß der allgemeinen Ortsregelung für Dienstleistungen, in Deutschland § 3a Abs. 1 und 2 UStG.
     
  4. Ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger, der Dienstleistungen auf elektronischem Weg an im Unionsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige über einen Appstore eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht hat mit der Folge, dass letzterer Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob er diese Dienstleistungen erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, kann nicht deshalb als Schuldner der Mehrwertsteuer gemäß Art. 203 MwStSystRL angesehen werden, weil er in den an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen mit seinem Einverständnis als Leistender genannt wird und dort der in seinem Ansässigkeitsmitgliedstaat geltende Mehrwertsteuersatz angegeben ist.

Einordnung

Elektronische Dienstleistungen - insbesondere die Bereitstellung in einem Dreiecksverhältnis wie zB über einen Appstore - benötigen unbedingt eine aufmerksame Würdigung; das Geschäftsmodell sollte sorgfältig aufgesetzt und umsatzsteuerlich abgesichert werden, um erhebliche finanzielle Lasten und großen nachträglichen Korrekturaufwand sowie Streit mit dem Finanzamt zu vermeiden.  

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