Erbringung einer unentgeltlichen Rechtsdienstleistung
Der EuGH hat mit Urteil vom 23. Oktober 2025 (C-744/23) entschieden, dass die Erbringung einer unentgeltlichen Rechtsdienstleistung eine Dienstleistung gegen Entgelt darstellt, wenn die unterlegene Partei verpflichtet ist, dem Anwalt der obsiegenden Partei ein gesetzlich festgelegtes Honorar zu zahlen.
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Sachverhalt
T. P. T. erhob Klage gegen Financial Bulgaria auf Feststellung der Nichtigkeit einer vereinbarten Bürgschaft. Dazu ließ sich T. P. T. durch einen Anwalt vertreten, welcher auf Grundlage des bulgarischen Rechts kostenlos gewährt wurde.
T. P. T. gewann die Klage, woraufhin der Sofiyski Rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) Financial Bulgaria zur Zahlung von 400 Lewa (BGN), allerdings ohne Mehrwertsteuer, an den Anwalt von T. P. T. verurteilte.
Der Anwalt beantragte die Entscheidung dahingehend abzuändern, dass ihm zusätzlich zu seinem Honorar die Mehrwertsteuer in Höhe von 80 BGN zuerkannt werde.
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Entscheidung
Der Anwalt von T. P. T. ist als Steuerpflichtiger nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL anzusehen, unabhängig davon, dass ihm ein Anwaltshonorar für eine Person zuerkannt wird, der er kostenlos rechtlichen Beistand gewährt hat und die im Rechtsstreit obsiegt hat. Auch stellt die gerichtliche Vertretung eines Mandanten durch einen Anwalt eine Dienstleistung i.S.v. Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL dar.
Die Einstufung einer Dienstleistung als Umsatz „gegen Entgelt“ nach Art. 2 Abs. 1 lit. c MwStSystRL setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dieser Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus. Ein solcher Zusammenhang besteht, wenn zwischen Leistenden und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden und die erhaltene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert der erbrachten Leistung darstellt. Ein unmittelbarer Zusammenhang fehlt hingegen, wenn die Vergütung freiwillig erfolgt oder vom Zufall abhängig ist.
Vorliegend wurde zwischen T. P. T. und seinem Anwalt ein Vertrag über kostenlosen Rechtsbeistand geschlossen. Zum anderen wurde Financial Bulgaria verurteilt, dem Anwalt der T. P. T. ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe sich nach den gesetzlichen Mindesthonoraren richtet. Dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Rechtsbeistand und dem gezahlten Anwaltshonorar besteht, ergibt sich somit sowohl aus dem Vertrag als auch aus dem Gesetz.
Dass das Honorar nicht von T. P. T., sondern von Financial Bulgaria gewährt wurde, ist unerheblich, denn für die Ausführung einer Dienstleistung „gegen Entgelt“ ist es nicht erforderlich, dass die Gegenleistung für die Dienstleistung unmittelbar vom Empfänger der Dienstleistung erbracht wird.
Auch wenn die Zahlung des Anwaltshonorars vom Ausgang des Rechtsstreits abhängt und daher ungewiss ist, stellt dieses Honorar dennoch den tatsächlichen Gegenwert für die anwaltliche Vertretung vor Gericht dar.
Daraus folgt, dass Art. 2 Abs. 1 lit. c MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass die gerichtliche Vertretung einer Partei durch einen Anwalt auch dann eine Dienstleistung gegen Entgelt darstellt, wenn sie gegenüber dem eigenen Mandanten unentgeltlich erbracht wird, jedoch die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die unterlegene Partei verpflichtet ist, dem Anwalt der obsiegenden Partei ein gesetzlich festgelegtes Honorar zu zahlen.

