Keine Umsatzsteuer auf pauschale Ausgleichszahlungen im ÖPNV
EuGH-Urteil
Mit Urteil vom 8. Mai 2025 (C‑615/23) hat der EuGH zur Auslegung von Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuersystemrichtlinie) Stellung genommen. Im Fokus stand die Frage, ob pauschale Ausgleichszahlungen einer Gebietskörperschaft an ein Unternehmen, das öffentliche Personenverkehrsdienste (in Deutschland übliche Bezeichnung: ÖPNV) erbringt, in die Steuerbemessungsgrundlage einfließen.
Sachverhalt
Das polnische Unternehmen P. S.A. (P) beabsichtigt, als Betreiber Verträge über die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste mit einer Gebietskörperschaft (G) abzuschließen. G fungiert dabei als Organisator.
Die Vergütung des P soll durch den Verkauf von Fahrscheinen erfolgen, deren Preis von G festgelegt werden soll. Da diese Einnahmen die Kosten des P jedoch nicht decken, soll P zusätzlich eine Ausgleichsleistung von G im Sinne des Art. 50 Abs. 1 Nr. 2 lit. c des polnischen Gesetzes über den öffentlichen Personenverkehr erhalten.
Die Zahlung soll an den Verlust aus der Dienstleistungserbringung anknüpfen und zusammen mit der maximalen Höhe für einen bestimmten Zeitraum vertraglich geregelt werden.
Aufgrund dieses Vorhabens beantragte P bei der Steuerverwaltung (S) einen Steuerbescheid hinsichtlich der Frage, ob die Ausgleichszahlung einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz darstellt. Während P die Auffassung vertrat, dass die Ausgleichsleistung die Steuerbemessungsgrundlage nicht erhöhe, da sie sich nicht unmittelbar auf den Preis der erbrachten Leistungen auswirke, sondern einen Beitrag zu den Gesamtkosten darstelle, sah S darin mit Steuerbescheid vom 14. Mai 2019 einen steuerpflichtigen Umsatz.
Nach erfolgreicher Klage von P vor dem erstinstanzlichen Gericht legte S Rechtsmittel ein. Das Oberste Verwaltungsgericht Polens, das nun mit dem Rechtsstreit befasst ist, legte dem EuGH die Frage vor, ob Art. 73 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Ausgleichsleistung wie die beschriebene in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehen ist.
Entscheidung
Unmittelbarer Empfänger der beabsichtigten Dienstleistung wären die Nutzer, die im Gegenzug einen Fahrschein erwerben. G ist nicht als Leistungsempfängerin anzusehen. Aber Entgelte, die durch einen Dritten gezahlt werden, gehören mit zur Steuerbemessungsgrundlage. Deswegen können die Zuschüsse das Entgelt erhöhen.
Die Vorschrift über die Steuerbemessungsgrundlage erfasst mit ihrem Wortlaut auch „unmittelbar mit dem Preis … zusammenhängende Subventionen“. Allerdings wird dies auf solche Subventionen beschränkt, die vollständig oder zumindest teilweise die Gegenleistung für die Lieferung von Gegenständen oder für bestimmte Dienstleistungen sind.
Der Zweck der in Rede stehenden Ausgleichszahlung besteht vor allem darin, die mit der Tätigkeit verbundenen Verluste zu decken, wodurch sie sich nicht unmittelbar auf den von G festgelegten Preis der erbrachten Beförderungsdienstleistungen auswirkt. Die Ausgleichszahlung in diesem Fall ist von der konkreten Zahl der Fahrgäste unabhängig und stellt stattdessen auf die gefahrenen Fahrzeugkilometer ab. Daher fällt sie nicht unter den Begriff „unmittelbar mit dem Preis … zusammenhängende Subventionen“ im Sinne von Art. 73.
Auch die Feststellung, dass ohne eine solche Ausgleichszahlung, der Preis der Fahrscheine für die Dienstleistungsempfänger wesentlich höher sein müsste, ändert daran nichts. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich jeder Zuschuss zwangsläufig auf die Preiskalkulation auswirken kann. Jedoch macht allein die Möglichkeit, dass sich eine Ausgleichszahlung auf den Preis der Dienstleistung auswirkt, die Ausgleichszahlung nicht schon als unmittelbar mit dem Preis zusammenhängende Subvention steuerbar.
Fazit
Art. 73 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist so auszulegen, dass pauschale Ausgleichszahlungen einer Gebietskörperschaft zur Deckung von Verlusten eines Unternehmens, das öffentliche Personenverkehrsdienste erbringt, nicht in die Steuerbemessungsgrundlage des Unternehmens einfließen.
Einordnung
Die Grenze zwischen Entgelt und Zuschuss ist auch künftig anhand aller Umstände des Einzelfalls zu ziehen. Bereits bei der Gestaltung des in der Regel öffentlich-rechtlichen Vertrags sollte darauf geachtet werden. Wie in dem entschiedenen polnischen Fall empfiehlt sich ein Antrag auf verbindliche Auskunft, um die Steuerbarkeit im Vorhinein zu klären und aufwendige Berichtigungen zu vermeiden. Der Antrag muss vor Verwirklichung des Sachverhalts gestellt werden.
In Deutschland finden sich im UStAE weitere Hinweise zur Abgrenzung. Sie wurden zuletzt infolge weiterer Rechtsprechung des BFH und grundsätzlich im Sinne engerer Grenzen der Steuerbarkeit aktualisiert.