Nachträgliche Berichtigung des Mehrwertsteuersatzes

Der EuGH hat mit Urteil vom 1. August 2025 (C-794/23) darüber entschieden, dass bei einer nachträglichen Korrektur des Mehrwertsteuersatzes die gegenüber Nichtsteuerpflichtigen zu Unrecht ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht geschuldet wird. Zudem dürfen Steuerbehörden oder nationale Gerichte bei vereinfachten Rechnungen nach Art. 238 Schätzungen vornehmen, sofern die Rechte des Steuerpflichtigen gewahrt werden.

Sachverhalt

Die österreichische Gesellschaft P betreibt einen Indoor-Spielplatz. Im Jahr 2019 wendete sie auf die Eintrittsgelder einen Mehrwertsteuersatz von 20% an. Bei der Zahlung der Eintrittsgelder stellte sie ihren Kunden einen Registerkassenbeleg aus. Dabei ging sie nach den Regelungen zur vereinfachten Rechnungslegung vor. Die entsprechende Steuer wies P in ihrer Mehrwertsteuererklärung für das Jahr 2019 aus, die sie jedoch aufgrund der Annahme korrigierte, dass die Eintrittsgelder dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 13 % zu unterziehen seien. Das Finanzamt setze im Januar 2021 die von P für das Jahr 2019 geschuldete Mehrwertsteuer fest, ohne diese Berichtigung zu berücksichtigen. Dagegen erhob P Beschwerde.

Mit Beschluss vom Juni 2021 ersuchte das Bundesfinanzgericht (Österreich) den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Anwendung des Art. 203 MwStSystRL. Dieser hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2022 für Recht erkannt, dass Art. 203 MwStSystRL keine Steuerschuld begründet, wenn der unzutreffend ausgewiesene Mehrwertsteuerbetrag auf einem falschen Steuersatz beruht und keine Gefährdung des Steueraufkommens besteht, weil die Dienstleistung ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher erbracht wurde. Daraufhin änderte das Bundesfinanzgericht den Bescheid im Jahr 2023, schätze jedoch aufgrund möglicher Vorsteuerabzüge durch Kunden, dass hinsichtlich 0,5% des Umsatzes eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliege. Gegen diese Entscheidung legte das Finanzamt beim Verwaltungsgerichtshof (Österreich) Revision ein.

Entscheidung

Die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer wird vom Aussteller geschuldet. Art. 203 MwStSystRL soll der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann. Er kommt folglich zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Adressat der Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann. Wird ein Teil der Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt, kommt Art. 203 MwStSystRL nur bezüglich des Teils zur Anwendung, der den zutreffend in Rechnung gestellten Betrag übersteigt, da in einem solchen Fall eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Folglich hängt die Anwendung des Art. 203 MwStSystRL lediglich vom Vorliegen einer Gefährdung des Steueraufkommens ab. Um zu beurteilen, ob eine solche vorliegt, ist zu prüfen, ob der Empfänger einer Rechnung mehrwertsteuerpflichtig ist. Mithin ist Art. 203 MwStSystRL dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger die einem Nichtsteuerpflichtigen aufgrund eines falschen Steuersatzes zu Unrecht ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht schuldet, selbst wenn er gleichartige Leistungen an Steuerpflichtige erbracht hat.

Die Wendung „Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind“ ist eng auszulegen. Es ist davon auszugehen, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, wenn der Empfänger einer fehlerhaften Rechnung steuerpflichtig ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Empfänger die Leistung möglicherweise für private Zwecke oder für sonstige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Zwecke in Anspruch nimmt. Demzufolge ist die MwStSystRL dahin auszulegen, dass nur nicht steuerpflichtige Personen als „Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind“, einzustufen sind.

Die Rechnungslegung erfolgte im Rahmen eines Massengeschäfts, ohne dass die Identität der Empfänger bekannt war. Daher ist zu bestimmen, wie die Kleinbetragsrechnungen zu ermitteln sind, für die der Steuerpflichtige nach Art. 203 MwStSystRL die Mehrwertsteuer schuldet, wenn es sich bei den Empfängern der Leistungen und Rechnungen sowohl um Endverbraucher als auch um vorsteuerabzugsberechtigte Steuerpflichtige handelt. Dies wird von der MwStSystRL nicht geregelt, weshalb die innerstaatlichen Rechtordnungen der einzelnen Mitgliedsstaaten entsprechende Kriterien festlegen müssen, nach denen die Fälle zu bestimmen sind, in denen ein Steuerpflichtiger einen zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuerbetrag schuldet. Begrenzt wird diese Verfahrensautonomie durch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Das Unionsrecht steht der Vornahme einer Schätzung grundsätzlich nicht entgegen, solange die Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Ersterer würde unverhältnismäßig beeinträchtigt werden, wenn die Steuerverwaltung den Steuerpflichtigen mit der Mehrwertsteuer belastete, auf deren Erstattung er einen Anspruch hat. Er wird durch die Möglichkeit der Steuerberichtigung gewahrt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass bei der Vornahme einer Schätzung der Anzahl fehlerhafter Rechnungen die verwendeten Daten genau, verlässlich und aktuell sein müssen. Zudem kann eine solche Schätzung auf der Grundlage von Gegenbeweisen entkräftet werden. Folglich ist die MwStSystRL dahin auszulegen, dass sie einer Schätzung durch die Steuerbehörde oder ein nationales Gericht im Fall vereinfachter Rechnungen nach Art. 238 nicht entgegensteht, sofern dabei alle relevanten Umstände berücksichtigt werden und der Steuerpflichtige unter Wahrung seiner Rechte die Schätzung anfechten kann.

Fazit

Art. 203 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger die einem Nichtsteuerpflichtigen infolge eines falschen Steuersatzes zu Unrecht ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht schuldet. Darüber hinaus steht die MwStSystRL einer Schätzung durch die Steuerbehörde oder ein nationales Gericht im Fall vereinfachter Rechnungen nach Art. 238 nicht entgegen, sofern alle relevanten Umstände berücksichtigt werden und dem Steuerpflichtigen unter Wahrung der Grundsätze der steuerlichen Neutralität, der Verhältnismäßigkeit sowie seiner Verteidigungsrechte die Möglichkeit zur Anfechtung der Schätzung eingeräumt wird.

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