Verrechnungspreise und Umsatzsteuer
Der EuGH hat sich mit Urteil vom 4. September 2025 (C-726/23) zur Auslegung von Art. 2 Abs. 1 lit. c sowie der Art. 168 und 178 MwStSystRL geäußert. Demnach ist die Vergütung, die eine Muttergesellschaft für von ihr gegenüber ihrer Tochtergesellschaft erbrachte Dienstleistungen erhält, als Entgelt für eine steuerbare Dienstleistung anzusehen. Zudem darf die Steuerverwaltung von einem Steuerpflichtigen, der den Vorsteuerabzug geltend macht, die Vorlage anderer Dokumente als der Rechnung verlangen, sofern diese Nachweise für diese Zwecke erforderlich und verhältnismäßig sind.
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Ausgangsfrage
Verrechnungspreise sind jene Preise, die für Leistungen und Lieferungen zwischen verbundenen Unternehmen angesetzt werden. Im Gegensatz zu Marktpreisen dienen sie in erster Linie als Hilfsmittel zur internen Leistungsverrechnung.
Im Rahmen des Umsatzsteuerrechts ist zu prüfen, ob
- ein steuerbarer Umsatz vorliegt,
- ein Entgelt erbracht wird und
- der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann.
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Sachverhalt
Arcomet Rumänien kauft oder vermietet Kräne, um sie an ihre Kunden in Rumänien weiterzuverkaufen oder zu vermieten. Die Arcomet Service NV Belgien sucht Lieferanten und handelt mit diesen die für ihre Tochtergesellschaften (u.a. Arcomet Rumänien) geltenden Vertragsbedingungen aus. Die Kauf- und Mietverträge werden indes zwischen Arcomet Rumänien und ihren Lieferanten bzw. Kunden geschlossen.
Im Januar 2012 schlossen Arcomet Belgien und Arcomet Rumänien einen Vertag über gegenseitige Leistungen. Dieser sieht vor:
- Arcomet Belgien stellt im Fall eines 2,74% übersteigenden Gewinns von Arcomet Rumänien eine Rechnung über den 2,74% übersteigenden Betrag aus.
- Arcomet Rumänien stellt eine Rechnung an Arcomet Belgien über den 0,71% übersteigenden Verlust, wenn der Verlust mehr als 0,71% beträgt.
- Niemand schuldet eine Vergütung, wenn die Betriebsergebnismarge von Arcomet Rumänien zwischen -0,71% und 2,74% liegt.
In den Jahren 2011 bis 2013 erzielte Arcomet Rumänien eine höhere Gewinnspanne als 2,74%. Die ersten beiden Rechnungen wies Arcomet Rumänien als innergemeinschaftliche Erwerbe von Dienstleistungen aus, für die sie das Reverse-Charge-Verfahren anwandte. Für die dritte Rechnung vertrat sie jedoch die Ansicht, dass sie im Rahmen von Umsätzen außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer ausgestellt worden sei. Im Rahmen einer Steuerprüfung wurde ihr der Vorsteuerabzug versagt, weil weder die Erbringung der Dienstleistungen noch deren Erforderlichkeit für die Zwecke ihrer steuerbaren Umsätze nachgewiesen wurde. Außerdem wurde Arcomet Rumänien eine Mehrwertsteuernachzahlung nebst Zinsen und Verwaltungssanktionen auferlegt.
Arcomet Rumänien erhob Klage beim Tribunalul București (Regionalgericht Bukarest, Rumänien), das die Klage im März 2017 abwies. Dagegen legte sie ein Rechtsmittel bei der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) ein.
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Entscheidung
Steuerbarkeit?
Eine Dienstleistung wird nur dann i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. c MwStSystRL „gegen Entgelt“ erbracht und unterliegt folglich nur dann der Mehrwertsteuer, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht. Dabei bildet die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung, insofern ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Im Rahmen des Vertrags von Januar 2012 sind die beiden Parteien gegenseitige Verpflichtungen eingegangen. Die Voraussetzung eines Rechtsverhältnisses ist demnach erfüllt. Auch stellen die von Arcomet Rumänien geleisteten Zahlungen die Vergütung für die von Arcomet Belgien ausgeübten Tätigkeiten dar. Folglich besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und den erhaltenen Beträgen.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Vergütung lediglich darauf abziele, die Gewinnspanne der Arcomet Rumänien im Einklang mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien anzupassen, um den Fremdvergleichsgrundsatz zu wahren. Das Vorliegen einer Dienstleistung gegen Entgelt ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände festzustellen, die den betreffenden Umsatz konkret kennzeichnen. Liegen solche Anhaltspunkte vor, kann auch dann, wenn zwischen zwei demselben Konzern angehörenden Gesellschaften ein Verrechnungspreis festgelegt worden sein sollte, dieser den tatsächlichen Gegenwert einer erbrachten Dienstleistung darstellen.
Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen sind nicht als wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL anzusehen und bewirken daher keine Umsätze, die Art. 2 MwStSystRL unterliegen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaften einhergeht, an denen die Beteiligungen erworben wurden. Dies ist im Fall von Acromet Belgien gegeben, da aktiv in die Verwaltung von Acromet Rumänien eingegriffen wird.
Entgelt?
Auch ändern die im Vertrag von Januar 2012 vorgesehenen Vergütungsmodalitäten nichts am bestehenden unmittelbaren Zusammenhang. Die Ungewissheit des Vorliegens einer Vergütung ist geeignet, den unmittelbaren Zusammenhang aufzuheben. Im vorliegenden Fall sind die Modalitäten der Vergütung jedoch bereits im Voraus und nach genauen Kriterien festgelegt, sodass die Vergütung frei von Unwägbarkeiten ist.
Demzufolge ist Art. 2 Abs. 1 lit. c MwStSystRL dahin auszulegen, dass die Vergütung, die eine Muttergesellschaft für von ihr gegenüber ihrer Tochtergesellschaft erbrachte Dienstleistungen erhält, die Gegenleistung für eine in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende, gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung darstellt.
Vorsteuerabzug?
Das Recht auf Vorsteuerabzug unterliegt sowohl der Einhaltung materieller als auch formaler Bedingungen.
Hinsichtlich der formalen Bedingungen sieht Art. 178 MwStSystRL in lit. a vor, dass der Steuerpflichtige eine den Anforderungen der Richtlinie entsprechende Rechnung besitzen muss und in lit. f, dass der Steuerpflichtige, wenn er die Steuer zu entrichten hat, die vom jeweiligen Mitgliedstaat vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen muss. Im vorliegenden Fall geht aus den Rechnungen weder die Menge noch die Art der erbrachten Dienstleistungen hervor. Daher genügten sie den Formvorschriften der rumänischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der MwStSystRL nicht. Jedoch darf die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb versagen, weil eine Rechnung bestimmte Formanfordernisse nicht erfüllt, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Bedingungen erfüllt sind. Für diese Prüfung können sie vom Steuerpflichtigen die Vorlage zusätzlicher Nachweise verlangen, ohne dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem entgegensteht.
Die materiellen Bedingungen richten sich nach Art. 168 MwStSystRL. Dieser verlangt, dass der Betroffene ein „Steuerpflichtiger“ ist und die zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet und sie auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen geliefert bzw. erbracht werden. Sowohl Arcomet Belgien als auch Arcomet Rumänien sind Steuerpflichtige. Letzterer wurde das Recht auf Vorsteuerabzug versagt, da sie nicht nachgewiesen habe, dass die Dienstleistungen tatsächlich erbracht worden und für die Zwecke ihrer Tätigkeit erforderlich gewesen seien. Die Beweislast für den Vorsteuerabzug trägt der Steuerpflichtige selbst. Die Steuerverwaltung durfte daher von Arcomet Rumänien den Nachweis verlangen, dass die betreffenden Eingangsleistungen tatsächlich erbracht worden waren und für die eigenen steuerbaren Umsätze verwendet wurden.
Demnach sind die Art. 168 und 178 MwStSystRL dahin auszulegen, dass sie die Steuerverwaltung nicht daran hindern, von einem Steuerpflichtigen, der den Vorsteuerabzug geltend macht, die Vorlage anderer Dokumente als der Rechnung zu verlangen, sofern die Vorlage dieser Nachweise für diese Zwecke erforderlich und verhältnismäßig ist.
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Fazit
Bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen müssen auch die umsatzsteuerlichen Folgen im Blick behalten werden. Sobald Leistungen tatsächlich erbracht werden, kann ein steuerbarer Umsatz vorliegen. Entscheidend ist dabei ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Entsprechend ist jeder verrechnungspreisrelevante Vorgang auch umsatzsteuerlich zu würdigen.
Dabei ist fraglich, was als Bemessungsgrundlage anzusehen ist. Gemäß § 10 Abs. 1 S. 1, 2 UStG stellt das Entgelt die maßgebliche Bemessungsgrundlage dar. Ist das Entgelt, das aus den Verrechnungspreisvereinbarungen resultiert, zu niedrig und marktunüblich, ist zu prüfen, ob die Mindestbemessungsgrundlage i.S.d. § 10 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 UStG Anwendung findet. Allerdings kann diese nach der Rechtsprechung des EuGH nur zur Anwendung kommen, wenn der Leistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Demzufolge ist der § 10 Abs. 5 UStG teleologisch zu reduzieren und richtlinienkonform auszulegen.
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Aktuell ist in diesem Themenbereich viel Dynamik erkennbar: Der EuGH hat bereits weitere Urteile erlassen, und zusätzliche Entscheidungen stehen noch aus.
- Weatherford Atlas Gip SA (C‑527/23) beschäftigt sich mit der Steuerbarkeit und dem Vorsteuerabzug bezüglich konzernintern erbrachter und verrechneter Leistungen.
- Högkullen AB (C‑808/23) behandelt die Erbringung von Dienstleistungen einer Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaften (Vorsteuerabzug der Muttergesellschaft - News - Aktuelles | ZfU Steuerberatungsgesellschaft mbH Münster).
- Derzeit anhängig: Stellantis Portugal, S.A. (C-603/24) befasst sich mit der Frage, ob nachträgliche (Verrechnungs-)Preisanpassungen, die eine bestimmte Mindestgewinnspanne sichern sollen, eine steuerbare sonstige Leistung darstellen, wenn die Anpassung verbrieft wurde.

