Steuerfreiheit nach Art. 146 MwStSystRL trotz abweichender Lieferung ins Drittland
Der EuGH hat mit Urteil vom 1. August 2025 (C-602/24) zur Auslegung des Art. 146 Abs. 1 lit. b MwStSystRL Stellung genommen. Gegenstand des Verfahrens war eine als innergemeinschaftliche Lieferung angemeldete Lieferung von Gegenständen, bei der der Erwerber die Gegenstände nach Orten außerhalb der Union ausgeführt hatte.
Sachverhalt
In den Jahren 2017 und 2018 erfasste W. sp. z o.o. (W) Lieferungen von Äpfeln an die A. E. LP (A) in ihren Mehrwertsteuererklärungen. Sie meldete die Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen an, die unter Anwendung des Mehrwertsteuersatzes von 0% besteuert werden. Gemäß den Transportdokumenten sollten die Äpfel aus Polen durch Beförderer nach Litauen transportiert und geliefert werden. Der Transport sollte durch A organisiert werden. Jedoch stellten die polnischen Steuerbehörden fest, dass die Äpfel direkt von Polen nach Belarus ausgeführt worden waren. Die Behörden waren der Ansicht, dass der Verkauf eine inländische Lieferung darstellt, die dem Mehrwertsteuersatz von 5% unterliegt und verhängten zudem eine Sanktion in Höhe des Satzes von 30%. W hat diese Entscheidung vor dem Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau angefochten, das der Klage stattgab und die Entscheidung aufhob. Daraufhin legte die polnische Steuerbehörde Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht Polens ein, das das Urteil aufhob und die Rechtssache zurück an die vorherige Instanz verwies.
Entscheidung
W hat das Recht, über die Äpfel wie ein Eigentümer zu verfügen, an A übertragen. Außerdem legte W im Laufe des Steuerverfahrens Dokumente vor, die belegen, dass die Äpfel vom Beladeort in Polen zu ihren Bestimmungsorten in Litauen transportiert und geliefert werden sollten. Allerdings erfolgte die Lieferung nicht in diesen Mitgliedstaat, sondern nach Orten außerhalb des Unionsgebiets. Somit haben die Äpfel das Hoheitsgebiet der Union physisch verlassen.
Im Rahmen des Art. 146 Abs. 1 lit. a, b MwStSystRL kommt es darauf an, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale der vorgesehenen Steuerbefreiung vorliegen. Dass sich die Parteien ursprünglich auf eine innergemeinschaftliche Lieferung geeinigt haben, die letztlich nicht stattgefunden hat, und dass die Lieferung nach Orten außerhalb der Union ohne Wissen der W erfolgt ist, sind subjektive Elemente, die grundsätzlich unerheblich sind.
Die in Art. 146 Abs. 1 MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung soll sicherstellen, dass die betreffenden Lieferungen von Gegenständen an deren Bestimmungsort besteuert werden. Die Mehrwertsteuerbefreiung wird gewährt, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn bestimmten formalen Anforderungen nicht genügt wird. Die Einstufung eines Umsatzes als „Lieferung von Gegenständen“ i.S.v. Art. 146 Abs. 1 lit. a, b MwStSystRL kann demnach nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Versand oder die Beförderung außerhalb der Union ohne Wissen des Lieferers vorgenommen und von den Steuerbehörden und nicht vom Lieferer selbst festgestellt wurde.
Fazit
Art. 146 Abs. 1 lit. b MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass eine ursprünglich vom Lieferer als innergemeinschaftliche Lieferung angemeldete Lieferung von Gegenständen, die der Erwerber ohne dessen Wissen nach Orten außerhalb der Union vorgenommen hat, unter die vorgesehene Steuerbefreiung fällt, wenn die Ausfuhr von den Steuerbehörden anhand von Zolldokumenten festgestellt wurde.