Tooling
Schlussantrag der Generalanwältin
Unter Tooling versteht man die Lieferung sowohl der herzustellenden Teile als auch der Formen oder Spezialwerkzeuge (Tools), mit denen diese hergestellt werden. Die Generalanwältin beim EuGH hatte in ihrem Schlussantrag vom 22. Mai 2025 (C-234/24) die Frage zu prüfen, ob im Vorsteuer-Vergütungsverfahren ein Recht auf Erstattung der Mehrwertsteuer aus der Lieferung der Tools besteht. Sie hat erörtert, ob eine einheitliche Lieferung der Tools und der Teile vorliegt, mit allen umsatzsteuerlichen Konsequenzen.
Die Generalanwältnin beim EuGH entscheidet nicht über den Fall, sondern bereitet die Entscheidung des EuGH ausführlich vor. Ihr Ergebnis muss der EuGH nicht übernehmen. Die Schlussanträge bieten aber eine wertvolle Grundlage für die Beurteilung umsatzsteuerlicher Sachverhalte in der Praxis, weil sie die Sachverhalte und die rechtlichen Grundlagen der Entscheidung des EuGH unter den entscheidenden Blickwinkeln in der Regel ausführlich beleuchten.
In dem anhängigen Verfahren geht es um die Frage, ob die Lieferung von Spezialwerkzeugen so eng mit der Lieferung der mit ihnen hergestellten Teile zusammenhängt, dass ihre Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist, obwohl die Spezialwerkzeuge nie eine Binnengrenze der EU überschritten haben.
Sachverhalt
Die slowakische Brose Prievidza, spol. s r. o. (Brose SK) erwirbt von der der Integrated Micro-Electronics Bulgaria EOOD (IME Bulgaria) Bauteile, die Gegenstand innergemeinschaftlicher Lieferungen sind.
Die deutsche Brose Coburg (Brose DE), die mit der Brose SK gesellschaftsrechtlich in einem Konzern verbunden ist, beauftragte die IME Bulgaria mit der Anfertigung von Spezialwerkzeug zur Herstellung der an Brose SK zu liefernden Bauteile. Im Anschluss an die Ausführung des Auftrags stellte IME Bulgaria der Brose DE eine Rechnung mit bulgarischer Mehrwertsteuer über die Spezialwerkzeuge aus, welche in das Eigentum der Brose DE übergingen, aber bei IME Bulgaria für die Herstellung der Produkte für Brose SK verblieben.
Danach lieferte Brose DE die Werkzeuge an Brose SK. Die Werkzeuge blieben in Bulgarien. Brose DE stellte eine Rechnung an Brose SK mit bulgarischer Mehrwertsteuer aus.
Der Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer der Brose SK wurde abgelehnt. Die Behörde argumentierte, dass die Lieferung der Spezialwerkzeuge und die der Bauteile eine einheitliche Lieferung dargestellt habe. Die Spezialwerkzeuge hätten nach der Herstellung der Bauteile ihre wirtschaftliche Bedeutung verloren. Da Brose SK die Bauteile als innergemeinschaftliche Lieferung von der IME Bulgaria erhalten habe, sei die Lieferung der Spezialwerkzeuge ebenfalls als solche zu behandeln. Aus diesem Grund hätte in der Rechnung über die Lieferung der Spezialwerkzeuge keine Mehrwertsteuer ausgewiesen werden dürfen. Folglich bestehe auch kein Anspruch von Brose SK auf Erstattung der entrichteten Mehrwertsteuer.
Stellungnahme der Generalanwältin
Keine physische Bewegung
Ob es sich beim Verkauf des Spezialwerkzeugs um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung handelt, ergibt sich aus Art. 138 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Danach kommt es nur zu einer Steuerbefreiung, wenn der gelieferte Gegenstand „versandt oder befördert“ worden ist. Folglich muss der Gegenstand den Liefermitgliedstaat physisch verlassen haben. Das Spezialwerkzeug befindet sich jedoch weiterhin in Bulgarien. Auch der innergemeinschaftliche Erwerb nach Art. 20 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verlangt, dass der Gegenstand an den Erwerber (hier Brose SK) „versandt oder befördert“ wird. Folglich könne im vorliegenden Fall keine innergemeinschaftliche Lieferung angenommen werden und die Steuerbefreiung nach Art. 138 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie greife nicht.
Aber einheitliche Leistung?
Ein anderes Ergebnis wäre allenfalls denkbar, wenn die Lieferung der Bauteile durch IME Bulgaria und die Lieferung des Spezialwerkzeugs insgesamt durch Brose DE als eine an Brose SK erbrachte einheitliche innergemeinschaftliche Lieferung angesehen werden könne. Dagegen spreche jedoch, dass der Gerichtshof davon ausgeht, dass für die Mehrwertsteuer jeder Umsatz in der Regel als eigener, selbständiger Umsatz zu betrachten ist. Dieser Grundsatz wird nur in den Fällen einer unselbständigen Nebenleistung oder einer einheitlich komplexen Leistung durchbrochen.
Zwei Leistungen, die eine gewisse inhaltliche Nähe zueinander aufweisen, aber von verschiedenen Steuerpflichtigen erbracht werden, können nur ausnahmsweise als einheitlicher Umsatz behandelt werden, wenn die Aufspaltung eines Umsatzes in zwei selbständige Teile künstlich war. Die Verfügungsmacht an den Spezialwerkzeugen sei an Brose DE übertragen worden, da diese als einzige die wirtschaftliche Substanz über einen Verkauf und eine anschließende Eigentumsübertragung realisieren könne. Dass IME Bulgaria für einen zufälligen Untergang der Werkzeuge das Risiko tragen solle, ergebe sich nicht aus den Akten. Damit liege mit der entgeltlichen Übereignung des Spezialwerkzeugs von Brose DE an Brose SK eine Lieferung zwischen diesen vor. Auch seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein anderer (insbesondere nicht IME Bulgaria) die Verfügungsmacht an den Werkzeugen erlangt habe. Zudem scheine die Eigentumsübertragung von Brose DE auf Brose SK wirksam stattgefunden zu haben. Leistungsempfänger beider Lieferungen sei Brose SK und zwischen den Lieferanten Brose DE und IME Bulgaria bestünden keine gesellschaftsrechtlichen Beziehungen. Auch solle kein Teil der Lieferung künstlich steuerfrei gestaltet werden, sondern Brose DE habe die Werkzeuge steuerpflichtig geliefert. Folglich liege keine künstliche Aufspaltung vor.
Demzufolge handle es sich bei der Lieferung der Spezialwerkzeuge um eine Lieferung, deren Ort nach Art. 31 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Bulgarien liege und für die keine Steuerbefreiung ersichtlich sei.
Die Generalanwältin schlägt vor, auf die Vorlagefrage dahingehend zu antworten, dass eine in Bulgarien steuerpflichtige Lieferung vorliegt. Die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Werkzeug selbst stelle weder eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung dar noch sei sie als einheitliche innergemeinschaftliche Lieferung mit den Bauteilen anzusehen. Somit schließe Art. 4 der Richtlinie 2008/9 das Recht auf Erstattung der entrichteten Mehrwertsteuer nicht aus.
Einordnung
Es ist üblich, dass die Teile z.B. im Automobilbau in einem EU-Staat hergestellt werden, z.B. Tschechien, und zum Einbau in ein Fahrzeug in einen anderen EU-Mitgliedstaat transportiert werden, z.B. Polen. Dieser Vorgang stellt natürlich eine innergemeinschaftliche Lieferung dar. Die Spezialwerkzeuge oder -formen werden dagegen zwar übereignet, bleiben aber letztlich an Ort und Stelle, z.B. in Tschechien. Sie werden also im Inland geliefert.
Zu prüfen ist, ob es sich im Einzelfall um eine einheitliche Lieferung handelt, so dass die Werkzeuge trotz ihres physischen Standorts umsatzsteuerlich als Teil der innergemeinschaftlichen Lieferung gelten. In Deutschland richtet sich diese Prüfung nach dem sog. Tooling-Erlass aus dem Jahr 1975, der zwar nur die Ausfuhr von Bauteilen und das Verbleiben der Tools an Ort und Stelle betrifft, aber entsprechend auf die innergemeinschaftliche Lieferung von Bauteilen angewendet wird. Der Tatbestand der innergemeinschaftlichen Lieferung wurde erst fast 20 Jahre später eingeführt.
Die Praxis der EU-Staaten unterscheidet sich, so dass Zulieferer und Auftraggeber umsatzsteuerliche Risiken eingehen.
Bemerkenswert ist, dass die Generalanwältin die Frage der einheitlichen Lieferung ausführlich prüft. Über die Entscheidung des EuGH werden wir berichten. Er kann von dem Ergebnis oder der Begründung der Generalanwältin abweichen.