Verzicht auf Steuerbefreiung bei Auslandsumsätzen kann Vorsteuerabzug beeinflussen

FG Hamburg

Grundsätzlich ist der Vorsteuerabzug für solche Eingangsleistungen ausgeschlossen, die mit Ausgangsleistungen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, welche im Ausland steuerbar sind und im Inland steuerfrei wären. Falls der Leistende aber zur Steuerpflicht nach § 9 UStG optiert, kann sich dieser Umstand ändern. Dazu erließ das FG Hamburg am 24. Mai 2024 ein Urteil (5 K 77/22), in dem es sich zu dieser Konstellation äußerte und Kriterien aufstellte, wann der Vorsteuerabzug gewährt wird.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb eine Plattform, auf der Anlageprodukte (z.B. Tages- und Festgeldanlagen) verschiedener Banken aus dem Inland und dem übrigen Gemeinschaftsgebiet vertrieben wurden. Weiterhin vermittelte die Klägerin die Einlagen über sogenannte Point-of-Sale Partner (z.B. Check24). Für die erfolgreiche Vermittlung der Einlagengeschäfte erhielt die Klägerin eine Provision, dessen Höhe abhängig von dem Anlagebetrag des Endverbrauchers war. 

Auf ihren Rechnungen an die Banken aus dem EU-Ausland vermerkte die Klägerin die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens, da eine sonstige Leistung mit Leistungsort am Sitz des Leistungsempfängers vorliegt.

Die Klägerin behandelte die im Inland erbrachten Leistungen teilweise als steuerfrei nach § 4 Nr. 8 d UStG, teilweise verzichtete sie auf die Steuerfreiheit und behandelte sie als steuerpflichtig.
Die Klägerin machte den kompletten Vorsteuersteuerabzug geltend, bestehend insbesondere aus Aufwendungen für den Betrieb der Online-Plattform.

Nach Auffassung des Finanzamts war der Vorsteuerabzug bzgl. der Leistungen gegenüber den Banken im EU-Ausland nach § 15 Abs.2 S.1 Nr. 2 UStG zu versagen, da die Klägerin weder beweisbar zum Verzicht der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 UStG optiert habe noch bewiesen habe, dass die Umsätze in den Mitgliedsstaaten als steuerpflichtig behandelt wurden. Somit sei der Vorsteuerbetrag zu kürzen.

Die Klägerin war der gegenteiligen Auffassung und gab an, dass sie die Option nach § 9 Abs. 1 UStG richtigerweise durchgeführt habe und ihr nicht die Beweislast dafür obliege, dass die jeweilige Bank im Mitgliedsstaat die Umsätze als steuerpflichtig behandelt hat.

Nach einem erfolglosen Einspruchsverfahren entschied das Finanzgericht Hamburg über den Sachverhalt.

Entscheidung und Gründe

Das Gericht gab der Klägerin teilweise Recht und erklärte, dass die Umsätze in Frankreich mit in die Berechnung des Vorsteuerabzugs einbezogen werden, währenddessen die Umsätze in den anderen EU-Mitgliedsstaaten wie Lettland, Malta oder Rumänien auszuschließen sind.

Die Option zur Steuerpflicht ist nach Ansicht des FG auch im Rahmen des Vorsteuerausschlusses nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG miteinzubeziehen. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine sogenannte „fiktive doppelte Option“ vorliegt und der Vorsteuerabzug gewährt wird:

  1. Die Umsätze wurden von dem Leistungsempfänger im Ausland als steuerpflichtig behandelt.
     
  2. Die Voraussetzungen für die Option nach § 9 UStG liegen vor.
     
  3. Kennt das Umsatzsteuerrecht des EU-Mitgliedsstaates des Leistungsempfängers keine Option, wird der Vorsteuerabzug verwehrt.

Für die Steuerpflicht im Sinne der ersten Voraussetzung genügt es, dass der Leistungserbringer auf die Steuerbefreiung verzichtet, er also selbst optiert. Das gilt ebenfalls, wenn das Reverse-Charge-Verfahren angewandt wird.

Für die Umsätze in Frankreich waren die Voraussetzungen gegeben, währenddessen das lettische, maltesische und rumänische Umsatzsteuerrecht keine Option zur Steuerpflicht für Umsätze aus Finanzdienstleistungen kennt und demnach der Vorsteuerabzug hier verwehrt wird.

Einordnung

Grundsätzlich wird bei im Ausland ausgeführten Umsätzen, die im Inland steuerfrei wären, nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Die Umsätze im Ausland werden also fiktiv so behandelt, als wenn sie im Inland ausgeführt wurden.
Diese Regelung setzt Unionsrecht um (Art. 168, 169 Mehrwertsteuersystemrichtlinie) und soll besonders der Praktikabilität dienen.

Im Falle der Option zur Steuerpflicht nach § 9 UStG kann jedoch der Vorsteuerabzug gewährt werden, wenn beide Unternehmer (Leistender und Leistungsempfänger) optieren, da ansonsten gegen das Neutralitätsprinzip verstoßen werden würde.

Das wird auch nicht dadurch beeinflusst, dass das Reverse-Charge-Verfahren angewandt wird.
Offen blieb in diesem Fall, ob der Leistungsempfänger mit dieser Option einverstanden sein muss oder ob eine bloße Mitteilung des Leistenden, bspw. Rechnungshinweis auf Reverse-Charge, ausreichend ist. Hier ist sich die Literatur uneinig, höchstrichterlich wurde diese Frage noch nicht geklärt. Grundsätzlich sollte aber ein Einverständnis des Leistungsempfängers eingeholt werden, da ihm durch die Option zur Steuerpflicht eine Steuerlast auferlegt wird und ohne Zustimmung des Empfängers mögliche Steuerausfälle drohen.

Ein Nachweis darüber, dass der Leistungsempfänger die Umsätze in seinem Mitgliedsstaat wirklich versteuert hat, ist nicht notwendig. Von dem Leistenden kann im Falle einer Option kein höherer Aufwand erwartet werden als bei einer originären Steuerpflicht der Ausgangsleistungen.

Unternehmern ist zu raten, in solchen und vergleichbaren Konstellationen den Vorsteuerabzug rückwirkend zu beanspruchen, soweit die Veranlagungszeiträume noch änderbar sind.

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