Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Keine Lesebestätigung bei Einspruch per E-Mail notwendig

Der BFH hat mit Urteil vom 29. April 2025 (VI R 2/23) entschieden, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn ein Einspruch per E-Mail eingelegt wurde und der Absender alles ihm Mögliche getan hat, damit die E-Mail seinen Verantwortungsbereich tatsächlich verlässt.

Sachverhalt

Das Finanzamt (FA) setzte mit Einkommensteuerbescheiden vom 8. August 2018 die Einkommensteuer des Klägers für die Streitjahre 2015 bis 2017 fest. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte die Änderung dieser Bescheide, da nicht alle Werbungskosten anerkannt worden waren. Diesen Antrag lehnte das FA am 23. August 2018 ab.

Am 30. August 2018 legte der Prozessbevollmächtigte Einspruch ein. Im Rahmen einer telefonischen Rücksprache mit dem FA am 29. Mai 2019 erfuhr einer seiner Mitarbeiter, dass dort kein Einspruch gegen die Steuerbescheide vorliege. Daraufhin bat er in einer E-Mail vom 31. Mai 2019 das FA um die Bearbeitung des Einspruchs, der dem FA bereits am 30. August 2018 zugegangen sei. Als Anhang enthielt diese Mail einen Ausdruck der vom Prozessbevollmächtigten unterschriebenen E-Mail vom 30. August 2018, mit der gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre Einspruch eingelegt und eine Begründung angekündigt worden war.

Am 26. Juni 2019 teilte das FA dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass die E-Mail bzw. der Einspruch vom 30. August 2018 nicht beim FA eingegangen sei. Ein solcher sei vielmehr erst durch die E-Mail vom 31. Mai 2019 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist eingelegt worden.

Das FA verwarf den Einspruch des Klägers nach dessen Anhörung als unzulässig und gewährte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das Finanzgericht gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Das FA hat das Urteil angegriffen. 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil des Finanzgerichts bestätigt. Das FA hatte mit seiner Revision keinen Erfolg. 

Der Einspruch gegen einen Steuerbescheid ist gem. § 355 Abs. 1 S. 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Frist ist gewahrt, wenn der Einspruch der Finanzbehörde rechtzeitig innerhalb der Frist zugeht. Der Zugang einer E-Mail setzt voraus, dass sie auf dem E-Mail-Server des Empfängers oder des Providers eingegangen ist.

Die Feststellungslast für den fristgerechten Zugang des Einspruchs trägt der Einspruchsführer. Dies gilt auch dann, wenn der Zugang einer E-Mail in Rede steht. Folglich hat der Versender einer E-Mail den Zugang in der für den Empfang bestimmten Einrichtung nachzuweisen. Ein Ausdruck der E-Mail reicht hierfür nicht aus; er belegt lediglich, dass diese abgesandt wurde. Ein Beweis des ersten Anscheins für den Eingang im E-Mail-Postfach des Empfängers wäre nur dann begründet, wenn der Kläger eine Eingangs- oder Lesebestätigung erhalten hätte. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall.

Die Frist wurde also versäumt

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dabei dem Vertretenen zuzurechnen. Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die versäumte Handlung nachgeholt werden. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.

"Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Legt der Steuerpflichtige Einspruch per E-Mail ein, hat er (bzw. sein Prozessbevollmächtigter) mit der Absendung der zutreffend adressierten E-Mail alles ihm Mögliche (und Erforderliche) getan, damit die E-Mail seinen Verantwortungsbereich tatsächlich verlässt. Auf die Dauer der "elektronischen" Beförderung der E-Mail vom Absendeserver zum Server des Empfängers und die Ablage von dort in das E-Mail-Postfach des Empfängers sowie einen "Verlust" der E-Mail im "Netz" hat er keinen Einfluss und muss für diese Fälle auch keine Vorkehrungen treffen. Deshalb ist er auch nicht gehalten, sich des Zugangs der E-Mail beim Empfänger zu versichern, sondern darf auf den ordnungsgemäßen "elektronischen Postgang" vertrauen.

Einer Vorlage einer Empfangs- oder Lesebestätigung bedarf es - mangels gesetzlicher Vorgabe in der Abgabenordnung - nicht. Aus der zivil- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung betreffend die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei Erteilung eines Rechtsmittelauftrags per E-Mail folgt nichts anderes. Sie betrifft einen anderen Sachverhalt und ist auf den Streitfall nicht übertragbar.

Einordnung

Der Fall betrifft die frühere Rechts- und Sachlage, bei der ein Einspruch per E-Mail wirksam eingelegt werden konnte, weil die Finanzämter in der Regel einen Zugang durch ein E-Mail-Postfach eröffnet hatten. Ein Einspruch per E-Mail ist grundsätzlich weiter zulässig, jedoch treten die Finanzämter inzwischen in der Regel nicht mehr öffentlich mit E-Mail-Postfächern auf - die Einlegung per E-Mail gehört damit der Vergangenheit an. 

Bemerkenswert ist, dass FG und BFH - im Interesse des Steuerpflichtigen und seines Beraters - die Wiedereinsetzung gewähren,  obwohl ein Berufsträger nicht für den Empfangsnachweis gesorgt hat. In entsprechenden Fällen sollten insbesondere Berater sich diese Entscheidung zunutze machen und ihr Vertrauen auf den ordnungsgemäßen "elektronischen Postgang" betonen.

 

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