Sind Nachzahlungszinsen unionsrechtswidrig?
FG Urteil
Der BFH hat kürzlich einen Prozess über die Unionsrechtswidrigkeit von Nachzahlungszinsen in die Liste der anhängigen Verfahren aufgenommen (V R 7/24). Dieser Fall wurde vorinstanzlich vom FG Rheinland-Pfalz (3 K 1936/22) entschieden und war insbesondere dadurch interessant, dass der Kläger hier damit argumentierte, dass Nachzahlungszinsen als solche gegen mehrere Artikel der europäischen Grundrechtecharta verstoßen würden.
Sachverhalt
Die Klägerin aus Deutschland war Organträgerin mehrerer Organgesellschaften. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass Umsatzsteuer aus den Niederlanden fälschlicherweise als inländische Vorsteuer gezogen wurde. Weiterhin wurden nicht fakturierte Leistungen in einem Konto erfasst, bei denen die Versteuerung noch vorzunehmen war. Die Umsatzsteuer erhöhte sich dementsprechend. Um Nachzahlungszinsen zu vermeiden, zahlte die Klägerin den steuerlichen Unterschiedsbetrag freiwillig.
Die zuständige Finanzbehörde änderte die Umsatzsteuerfestsetzung des Streitjahres, erließ aber aufgrund der freiwilligen Zahlung teilweise die festgesetzten Zinsen. Anschließend passte sie die verbleibenden Zinsforderungen auf den aktuell geltenden Zinssatz i.H.v. monatlich 0,15 % an.
Nach erfolglosem Einspruch klagte die Organträgerin gegen die festgesetzten Zinsen. Ihrer Meinung nach verstoße die Zinsfestsetzung gegen Unionsrecht, da es für die finanziellen Interessen der Union gleichgültig sei, in welchem Mitgliedstaat die Steuer abgeführt oder die Vorsteuer gezogen wird. Außerdem sei kein Steuerausfall entstanden. Weiterhin verstoße die Zinsfestsetzung gegen die Grundrechtecharta (Gleichheit vor dem Gesetz, Recht auf unternehmerische Freiheit) und sei in der Höhe nach auch unverhältnismäßig, da die Klägerin keinen Liquiditätsvorteil erlangt hätte.
Das Finanzamt entgegnete, dass die festgesetzten Nachzahlungszinsen nach § 233a AO rechtmäßig seien, da sie die Abschöpfung der Liquiditätsvorteile gewährleisten, unerheblich davon, ob diese tatsächlich entstanden sind. Die Nachzahlungszinsen verstoßen ebenfalls nicht gegen Unionsrecht.
Entscheidung und Gründe
Das Gericht lehnte die Klage ab und bewertete die Festsetzung der Nachzahlungszinsen als rechtskonform. Die Zinsfestsetzung nach § 233a AO gleicht Liquiditätsvorteile aus. Es kommt dabei nicht darauf an, ob dieser Vorteil in Anspruch genommen wurde oder wer für die verzögerte Steuerfestsetzung die Verantwortung trägt.
Weiterhin verstoße die Zinsfestsetzung nicht gegen Grundsätze des europäischen Mehrwertsteuersystems oder gegen die Grundrechtecharta. Eine Unverhältnismäßigkeit der Zinshöhe (0,15 %) wurde vom Gericht ebenfalls abgelehnt.
Einordnung
Die Aufnahme des Falls in die Liste der anhängigen Verfahren beim BFH zeigt, dass die rechtliche Bewertung von Nachzahlungszinsen weiterhin umstritten ist. Besonders relevant ist die Argumentation des Klägers, dass die Zinspflicht gegen die europäische Grundrechtecharta verstoße, insbesondere gegen die Gleichheit vor dem Gesetz und die unternehmerische Freiheit. Das FG Rheinland-Pfalz stellte sich klar auf die Seite der Finanzverwaltung und bestätigte die Zinsen als unionsrechtskonform.
Berater sind gehalten, die Bescheide über Nachzahlungszinsen in der Umsatzsteuer durch Einspruch mit Verweis auf das anhängige Verfahren offenzuhalten.
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