Nachfolgeurteil zum Reemtsma-Anspruch gegenüber der Finanzbehörde
FG Münster
Das FG Münster hat am 23. Januar 2024 sein Folgeurteil (15 K 2327/20 AO) nach der Schütte-Entscheidung des EuGH bekanntgegeben. Es wird hier der direkte Erstattungsanspruch gegenüber der Finanzbehörde bei zu Unrecht gezahlter Steuer thematisiert, der sogenannte „Reemtsma-Anspruch“.
Sachverhalt
Der Kläger ist ein Land- und Forstwirt, der auch einen gewerblichen Holzhandel betreibt. Hierbei kaufte er Holz bei Vorlieferanten zum Regelsteuersatz ein und vertrieb dieses wiederum zum ermäßigten Steuersatz. Er tat dies, da er es als Brennholz verkaufte und dieses dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.
Das Finanzamt versagte ihm im Rahmen einer Betriebsprüfung den Vorsteuerabzug in Höhe der Differenz der angewandten Steuersätze, da die Ausgangsumsätze der Vorlieferanten aus der Sicht des Finanzamts ebenfalls dem Regelsteuersatz unterliegen würden. Das FG Münster entschied dann vorinstanzlich, dass sowohl die Eingangsumsätze als auch die Ausgangsumsätze dem ermäßigten Steuersatz von 7% unterliegen würden. Der Kläger ging daraufhin auf seine Vorlieferanten zu und erbat die Rechnungskorrektur und Zahlung der Differenz. Diese beriefen sich jedoch auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung und verweigerten die Zahlung.
Der Kläger stellte anschließend einen Billigkeitsantrag und wollte den Steuerbetrag nach den Reemtsma-Grundsätzen erstattet bekommen.
Der Reemtsma-Anspruch ist ein direkter Erstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt für einen Leistungsempfänger. Er kommt zum Tragen, falls diesem zu Unrecht eine Steuerlast auferlegt wurde und die Durchsetzung seines Anspruchs gegenüber den Vorlieferanten unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Das FG Münster rief den EuGH an und wollte die aufkommenden Fragen von diesem geklärt bekommen. Dieser entschied dann im Schütte-Urteil Folgendes:
- Der Reemtsma-Anspruch besteht auch bei zivilrechtlicher Verjährung weiter. Die Verjährung führt dazu, dass die ursprüngliche Anspruchsdurchsetzung für den Leistungsempfänger erheblich erschwert wird. Dies hat zur Folge, dass der Reemtsma-Anspruch anwendbar sein kann.
- Der Anspruch kann auch dann geltend gemacht werden, wenn der Leistende die Rechnung nach § 14c UStG theoretisch noch korrigieren könnte.
- Falls der Leistende sich auf die Verjährung beruft, kann er nicht nachträglich eine Steuererstattung nach einer Rechnungskorrektur verlangen. Eine doppelte Erstattung der Steuer wird somit ausgeschlossen.
- Der entstandene Liquiditätsnachteil ist dem Steuerpflichtigen zu verzinsen.
Der Fall wurde dann an das FG Münster zur abschließenden Entscheidung zurückverwiesen.
Entscheidung und Gründe
Das FG Münster folgt der Rechtsprechung des EuGH und gibt dem Kläger überwiegend Recht. Es bestätigt das Vorliegen der Voraussetzungen eines Reemtsma-Anspruchs:
- Der Kläger ist Leistungsempfänger
- Dem Kläger wurde in den Lieferungen zu Unrecht zu viel Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Statt 19% hätten 7% angewandt werden müssen.
- Der Kläger bezahlte die Rechnungen mit der überhöhten Umsatzsteuer.
- Die Vorlieferanten führten die Steuerbeträge an den Fiskus ab.
- Die Ansprüche des Klägers auf Berichtigung der Rechnungen sind verjährt.
- Fahrlässigkeit als Ausschlussgrund kommt ebenfalls nicht infrage, da der wirtschaftliche Schaden erst bei der Kürzung der Vorsteuer entstand und die Korrekturansprüche dann bereits verjährt waren.
Auch die Verzinsung des Erstattungsbetrags wurde vom FG Münster aufgegriffen. Die Frist, nach deren Ablauf die Verzinsung beginnt, ist laut dem Gericht einzelfallabhängig zu bestimmen und wird in diesem Fall auf 6 Monate bemessen. Der Zinssatz betrug in diesem konkreten Fall 0.15% pro Monat des Zahlungsausfalls.
Ein Erlass der Zahlungen von Zinsen durch den Kläger, die vor dieser Entscheidung bereits durchgeführt wurden, wurde jedoch verwehrt. Begründet wurde es damit, dass sich der Reemtsma-Anspruch nur auf zu Unrecht gezahlte Steuern bezieht, nicht jedoch auf damit verbundene Nachzahlungszinsen.
Einordnung
Der EuGH und das FG Münster erweitern hier den Reemtsma-Anspruch auf den Fall der zivilrechtlichen Verjährung. Als Leistungsempfänger wird man dadurch im größeren Rahmen geschützt, falls der Vorsteuerabzug nicht gewährt wird.
Die Voraussetzung für den Reemtsma-Anspruch, dass die Steuerrückerstattung „unmöglich“ oder „übermäßig schwierig“ sein muss, kennt nun also neben der Insolvenz auch die Verjährung als Fallgruppe. Es gibt Gründe für Zuversicht, dass diesen beiden in der kommenden Zeit weitere Fallgruppen hinzugefügt werden.
Die Finanzverwaltung ist nun dazu aufgefordert, diese Sichtweise anzunehmen. Momentan hält sie noch an der gegenteiligen Handhabung fest und wertet den Reemtsma-Anspruch bei der Verjährung als nicht anwendbar. Das ist jedoch unionsrechtswidrig.
Weitere Fragen zum Reemtsma-Anspruch sind bereits beim EuGH (C-83/23) anhängig. Dort soll unter anderem geklärt werden, wie der Anspruch durchsetzbar ist, wenn das Finanzamt dem Leistenden die Steuer nach § 14c UStG bereits rechtswidrig erstattet hat.