Verlust des Vorsteuerabzugs durch Fristversäumnis – Ausschlussfrist unionsrechtskonform

EuGH-Urteil

Mit Urteil vom 12. September 2024 (C-429/23) entschied der EuGH über die Folge einer Fristversäumnis bei der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs.

Der Kläger berief sich darauf, dass der zuständige Buchhalter in Quarantäne war und Fristen für andere Steuerarten verlängert wurden. Der EuGH stimmte ihm in dieser Sache aber nicht zu.

Sachverhalt

Die Nare-BG ist eine bulgarische Gesellschaft, die Grundstücke erwirbt und auf diesen von anderen Unternehmern Gebäude errichten lässt. Im Zuge einer dieser Projekte erhielt sie in den Jahren 2017 bis 2019 Eingangsrechnungen mit einem Volumen von ca. 60 000 €. Im November 2019 registrierte sich die Gesellschaft für mehrwertsteuerliche Zwecke und reichte fortan Mehrwertsteuer-Erklärungen ein.

Im Zuge der Corona-Pandemie wurden im März 2020 von der bulgarischen Regierung die Fristen für die Entrichtung bestimmter Steuern verlängert, nicht aber die der Mehrwertsteuer. Die Nare-BG reichte ihre Steuererklärung für den Monat Dezember 2020 im Januar 2021 ein und machte darin die Vorsteuerbeträge der Rechnungen aus den Jahren 2017 bis 2019 geltend.


Nach bulgarischem Recht müssen Vorsteuerbeträge innerhalb einer Ausschlussfrist von 12 Monaten nach der Entstehung des Anspruchs auf Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Hier lief die Frist seit der Registrierung im November 2019. Fristende wäre hier der November 2020 gewesen und nicht der Dezember 2020.

Die Nare-BG erklärte das Versäumnis damit, dass ihr Buchhalter in Quarantäne war und ein Vertreter diese Erklärung einreichte. Das Finanzamt verwehrte aber weiterhin den Vorsteuerabzug. Außerdem seien Fristen für andere Steuern verlängert worden, nicht aber die der Mehrwertsteuer. In Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen sei der Vorsteuerabzug dadurch übermäßig erschwert worden.

Der Fall durchlief die bulgarischen Gerichte, bis er dann schließlich den EuGH erreichte.
Dieser sollte entscheiden, ob die Ablehnung der Vorsteuererstattung rechtmäßig sowie die 12-monatige Ausschlussfrist unionsrechtskonform sind.

Entscheidung und Gründe

Der EuGH entschied, dass der Nare-BG der Vorsteuerabzug zu Recht verwehrt worden ist. Die bulgarische 12-monatige Frist stehe insbesondere im Einklang mit den Grundsätzen der Neutralität und Effektivität des europäischen Mehrwertsteuersystems.  Die Vorschrift bietet für die Behörden und auch die Unternehmer Rechtssicherheit.

Eine Fristversäumnis konnte mit einer zweiwöchigen Quarantäne des Buchhalters nicht ausreichend gerechtfertigt werden, da ihm 12 Monate für die Erklärung des Vorsteuerabzugs zustanden.
Außerdem ist es unionsrechtskonform, dass die Fristen anderer Steuerarten verlängert wurden, die der Mehrwertsteuer aber nicht.

Insbesondere kann der Grundsatz der Neutralität nicht dazu führen, dass einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug trotz selbstverschuldetem Fristversäumnis gestattet wird.

Einordnung

Der EuGH betont, dass mit dem Ziel der Rechtssicherheit die Einhaltung von Fristen einen hohen Stellenwert genießt. Als Leitlinie kann man sich merken: Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ermöglicht in vielen Fällen den Vorsteuerabzug trotz formeller Mängel, wie die Rechtsprechung des EuGH immer wieder gezeigt hat; er durchbricht aber nicht Fristbestimmungen, die der Rechtssicherheit dienen und verhältnismäßig sind.

In Deutschland gibt es keine derartige Ausschlussfrist; umso mehr müssen diese bei Auslandssachverhalten in den Blick genommen werden.

Das deutsche Verfahrensrecht lässt es zu, Vorsteuerbeträge auch nachträglich geltend zu machen, indem eine Steuererklärung berichtigt wird. Dies ist grundsätzlich innerhalb der Grenzen der Festsetzungsverjährung und der Bestandskraft möglich. Beides sind Ausprägungen der Rechtssicherheit und dürften insofern unionsrechtskonform sein.

Wichtig in Deutschland ist jedoch, dass ein Vorsteuerbetrag nur in dem Besteuerungszeitraum (grundsätzlich Monat oder Quartal) geltend gemacht werden darf, in dem die Voraussetzungen erfüllt waren, d.h. grundsätzlich nach Leistungsbezug und Eingang einer ordnungsgemäßen Rechnung. In anderen EU-Staaten ist diese Regelung weniger streng, so dass ein Vorsteuerbetrag auch zu einem späteren Zeitpunkt geltend gemacht werden kann, der nach diesem Besteuerungszeitraum liegt. Stattdessen gibt es aber häufig Ausschlussfristen oder andere Beschränkungen für die Erstattung von Vorsteuern. Letztere hat der EuGH bereits in einigen Fällen für unionsrechtswidrig erklärt, z.B. Vorschriften, die – wie in Italien – die Vorsteuererstattung vom Erreichen bestimmter Umsatzschwellen abhängig gemacht haben.

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