Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug und gleichzeitige Auferlegung einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung
Der EuGH hat mit Urteil vom 10. Juli 20205 (C‑276/24) zur Auslegung des Art. 205 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) Stellung genommen. Im Streitfall ging es darum, ob neben der Versagung des Vorsteuerabzugs auch eine gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Entrichtung der Mehrwertsteuer auferlegt werden kann.
Sachverhalt
Konreo, die Insolvenzverwalterin der FAU, und die Einspruchsfinanzdirektion streiten über die gesamtschuldnerische Haftung von FAU für die Entrichtung der Mehrwertsteuer, die ihr Lieferer Verami nicht abgeführt hat. Steuerprüfungen ergaben eine von Steuerhinterziehungen betroffene Handelskette. Die daraufhin geforderte Nachzahlung der Mehrwertsteuer entrichtete Verami nicht. 2015 bzw. 2016 wurden Verami und FAU für insolvent erklärt und es wurden Insolvenzverfahren eröffnet. 2017 erhob die Finanzverwaltung die von FAU geschuldete Mehrwertsteuer und versagte den Vorsteuerabzug. Der Einspruch wurde abgewiesen, ebenso die Klage vor dem Regionalgericht Brno [Brünn]. Konreo legte daraufhin Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik ein.
Bereits zuvor hatte die Finanzverwaltung FAU mit Bescheiden als Haftpflichtige für Veramis Steuerschuld herangezogen. Nach Abweisung der Einsprüche durch die Einspruchsfinanzdirektion hob das Regionalgericht Brno diese Entscheidung auf. Nach Zurückverweisung wies die Einspruchsfinanzdirektion die Einsprüche erneut ab. Auf Klage von Konreo hob das Regionalgericht diese Entscheidungen wieder auf. Die Einspruchsfinanzdirektion legte daraufhin Kassationsbeschwerde ein.
Entscheidung
Art. 205 MwStSystRL ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu erlassen, nach denen eine andere Person als der Steuerschuldner gesamtschuldnerisch zur Entrichtung der Mehrwertsteuer verpflichtet werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person wusste oder hätte wissen müssen, dass sie an einer Steuerhinterziehung beteiligt war. Dies ist vorliegend bei der Zahlung von FAU an Verami der Fall.
Die konkreten Voraussetzungen und Modalitäten der gesamtschuldnerischen Haftung legen die Mitgliedstaaten selbst fest, wobei insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind. Entsprechende Maßnahmen dürfen daher nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ansprüche der Staatskasse zu schützen.
Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ermöglicht es der Finanzverwaltung im Falle einer Steuerhinterziehung, die Versagung des Vorsteuerabzugs und die gesamtschuldnerische Haftung nach Art. 205 MwStSystRL eigenständig anzuwenden, ohne sich für eine der beiden Maßnahmen entscheiden zu müssen.
Während die gesamtschuldnerische Haftung eine wirksame Erhebung der Steuer gewährleistet, verfolgt die Versagung des Vorsteuerabzugs das Ziel, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Eine Verpflichtung der Finanzverwaltung, sich für eine der Maßnahmen entscheiden zu müssen, würde zu einem teilweisen Verzicht führen, der sich nicht rechtfertigen lässt.
Auch führt die gesamtschuldnerische Verpflichtung nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Finanzverwaltung.
Fazit
Art. 205 MwStSystRL steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Empfänger einer Lieferung für die vom Lieferer geschuldete Mehrwertsteuer haftbar macht, auch wenn ihm der Vorsteuerabzug verweigert wird, weil er von der Steuerhinterziehung wusste oder sie hätte erkennen müssen.